Freie Presse: Vom Scheitern eines Experiments

Kritik, Beifall und offene Fragen: Das Jugendzentrum an der Reitbahnstraße ist am Ende

Das Aus für das Experimentelle Karree an der Reitbahnstraße hat gestern unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Die beiden Betreibervereine reagierten enttäuscht auf die Entscheidung der GGG, den Vertrag über die Nutzung des Hauses Ende Juni zu beenden. Stadträte äußerten sich hingegen gemischt. Einige begrüßten die Entscheidung, andere kritisierten sie. Fest steht, das Experiment an dieser Stelle ist gescheitert. Offen bleiben Fragen – zum Beispiel die, ob die Vertragskündigung im Konflikt zu einem Ratsbeschluss aus dem Jahr 2008 steht.

Betreiber kündigen Proteste an

Die beiden Betreibervereine WKB (Wiederbelebung kulturellen Brachlandes) und Exka (Experimentelles Karree) kündigten gestern trotzig an, die weiteren Verhandlungen mit der GGG durch “vielfältige Proteste” begleiten zu wollen. “Die Verantwortlichen in der Stadt sorgen einmal mehr dafür, dass die Zustände für junge Menschen in Chemnitz unerträglich werden”, heißt es in einer Erklärung. Mit der Kündigung müssten 50 aktive Nutzer aus dem Gebäude Reitbahnstraße 84 ausziehen; Umsonstladen, Volksküche und Fahrradselbsthilfe-Werkstatt stünden vor dem Aus. Auch Projekte anderer Gruppen wie zum Beispiel der Poetenpub müssten sich nun voraussichtlich einen neuen Veranstaltungsort suchen.
Die GGG hatte den Exka-Leuten am Montag die Kündigung zugestellt. Hintergrund seien Pläne für die Entwicklung des Wohnkarrees zwischen Reitbahnstraße, Gustav-Freytag-Straße und Fritz-Reuter-Straße, sagte ein Firmensprecher. Das kommunale Unternehmen plant, in diesem Jahr mit der Sanierung der Häuser an der Reitbahnstraße 80 und 82 zu beginnen. Laut GGG sollen dort Wohnungen entstehen, die für Studenten geeignet sind. Die Zukunft des Gebäudes an der Reitbahnstraße 84 – dem derzeitigen Sitz des Experimentellen Karrees – ist hingegen offen. Möglich seien eine Sanierung durch die GGG oder der Verkauf, hieß es. Abriss stehe nicht zur Debatte.
Dabei hatte der Stadtrat noch im November 2008 entschieden, den jungen Leuten dauerhaft eine Perspektive zu geben – und zwar an der Reitbahnstraße. Wörtlich hieß es damals: “Die Verwaltung sowie der städtische Vertreter in der Gesellschafterversammlung der GGG werden aufgefordert, die Zielstellungen des Konzeptes Experimentelles Karree im Reitbahnviertel aktiv zu unterstützen, insbesondere auf eine längerfristige Nutzungsmöglichkeit des Objektes Reitbahnstraße 84 … hinzuwirken.” Zwar ist die GGG nicht an Ratsbeschlüsse gebunden, alleiniger Eigentümer des Unternehmens aber ist die Stadt Chemnitz.
Deren Vertreter bei der GGG, Finanzbürgermeister Detlef Nonnen, hatte im Februar 2009 auf Anfrage der Ratsfraktion der Grünen mitgeteilt, er sehe “kein Erfordernis zur besonderen Einflussnahme” auf die GGG. Er habe damals den Eindruck gewonnen, so Nonnen gestern, dass die Geschäftsführung im Sinne des Ratsbeschlusses tätig geworden sei. Ende November 2009 aber habe der Aufsichtsrat entschieden, die Kündigung auszusprechen. “Daher gab es für mich keine Veranlassung mehr einzugreifen”, erklärte Nonnen. “Laut Gesellschaftervertrag muss ich schließlich nur bei Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung tätig werden.”

Kritik von links, Beifall von rechts

Tatsächlich hatte der GGG-Aufsichtsrat die Kündigung im November abgesegnet. Dafür stimmten nach “Freie Presse”-Informationen sowohl die beiden CDU-Vertreter als auch die Vertreter von FDP und SPD. Lediglich die Aufsichtsratsmitglieder von Linkspartei und Grünen stimmten dagegen. “Man hätte die Kündigung erst aussprechen dürfen, wenn es einen neuen Vertrag über einen alternativen Standort gibt”, kritisiert die Vertreterin der Linkspartei im GGG-Aufsichtsrat, Verona Schinkitz. Alternativen bot die GGG zwar an, doch die Vereine hatten sich bislang nicht dazu geäußert. Schinkitz dazu: “Dann hätte die GGG eben warten müssen, es gab schließlich keinen Zeitdruck.”
SPD-Stadtrat Klaus Möstl, ebenfalls Mitglied des GGG-Aufsichtsrats, verteidigte hingegen die Entscheidung des Wohnungsunternehmens. “An dieser Stelle war das Experimentelle Karree nicht zu verwirklichen”, sagte er der “Freien Presse”. Beifall erhält die GGG auch von der Ratsfraktion von Pro Chemnitz (Ex-Republikaner). In einer Presseerklärung teilte die Fraktion gestern mit, man werte das Aus für das Experimentelle Karree als einen “eindeutigen Erfolg”.

Swen Uhlig

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